Ausgangspositionen könnten helfen. Um zu begreifen, was im Tierschutz nicht läuft oder mit falschem Etikett oder falschen Tierschützern, sollte man wissen, warum das so sein könnte. Oder so ist. Dann kann jeder für sich überlegen, ob er/sie daran festhalten oder teilhaben, oder lieber versuchen möchte, zumindest an ganz kleinen Rädchen zu drehen, was in der Summe auch ganz gut für Vorankommen sorgt.

Wir leben also in einer so genannten Demokratie, die jeder lobt, wenn sie zu seinen Gunsten spricht, die jeder verdammt, der gerade nicht in die Gruppe der Begünstigten fällt. Es ist so eine Sache, das mit den Mehrheiten zu verstehen, vom Akzeptieren mal ganz zu schweigen. Mein Lieblingsbeispiel, weil besonders einfach zu verstehen, sind Radfahrer. Wer mit einem ‚Bein‘ auf dem Radweg parkt, darf sich über abgetretene Rückspiegel freuen, über Wischarme 45°, Kratzer, Beulen oder zumindest nicht druckreife Verbal-Attacken, ganz klar, die Rechte des Radlers wurden massiv eingeschränkt vom aggressiven Autofahrer. Gleiches gilt für rechts blinkende Abbieger, die dennoch plötzlich und unerwartet unter wüsten Beschimpfungen rechts überholt werden von Radfahrern, die geradeaus fahren möchten und so weiter.

Wer aber einmal ganz höflich versuchte, einen Radfahrer darauf aufmerksam zu machen, dass das Befahren von Gehwegen (schmal) verboten sein, zumal auf engen Gehwegen unter lauter Musik, dafür ohne Licht und viel zu schnell, wird schnell merken, dass das gefährlicher ist, als das Dasein als Fußgänger selbst. Ich kämpfe für MEIN Recht, das des Anderen ist nicht meines und geht mich nichts an. Werde ich dabei erwischt und dafür bestraft, ist das – natürlich – Abzocke, unmoralisch, falsch, auto- wie totalitär und sowieso machen es alle anderen doch auch. Nur – so funktioniert Demokratie und Zusammenleben eben nicht.

Wenn eine Politikerin – aktuell Frau Hämmerling in Berlin – einen Gesetzentwurf mit der betroffenen Gruppe konstruktiv zu verbessern, passiert folgendes: diejenigen, die der Einladung folgen, sind die Engagierten, die Wissenden, die mehr Wissenden, die Besserwisser. Ein Großteil der zur Verfügung stehenden Zeit wird für redundante Ablehnung verplempert, konstruktives kommt kaum vor, aber immerhin, es kommt vor. Der Gesetzentwurf selbst verkauft sich als neu, ist aber insofern unnötig, weil es in Hamburg bereits ein neues, angepasstes Gesetz gibt, was als Grundlage zur Diskussion gestellt hätte werden sollen – zumal es dort positiv angenommen wurde. Da waren die Federführer aber andere und somit wird ein Eigenentwurf (neues Rad, diesmal auch wieder rund) vorgestellt, der als Entwurf der Opposition kaum Aussicht auf Erfolg haben wird, eine Neufassung aber im Koalitionspapier der Regierenden steht. Das ist dann Logik.

Was das mit Tierschutz zu tun hat? Radfahrer, Politik und Logik? Wir haben also etwa 5-8% Hundebesitzer in Deutschland, von denen sich ein Bruchteil für das Schicksal von Streunern rund um die Heimat interessiert, für Tierschutz nicht sehr viel mehr. Das belegen Umfragen sowie die dünne Teilnahme an bundesweiten Protestveranstaltungen im Zusammenhang mit dem Streunerelend in Rumänien und Deutschland. Die machen dafür aber mächtig Radau und wissen wie es geht. Will heißen: Spenden nach dem Gießkannen-Prinzip, nahezu egal, wohin, wofür und an wen. Hunde ‚retten‘, egal, welchen, woher, wofür und wohin. Wer eine kritische Stimme erhebt, muss sehen, wie er/sie damit klar kommt. Unser Material kommt von Menschen mit langjähriger Erfahrung mit dem so genannten Tierschutz, von Betroffenen, immer aber von Menschen, die ihren Namen im Zusammenhang des zur Verfügung gestellten Materials aber nicht genannt haben möchten. Aus Angst vor Konsequenzen. Weil auch Helden zwei Gesichter haben können. Weil es um etliche Millionen geht. Nein, nicht Hunden, wo denken Sie hin: EUROS.

Der Staat? Wird eine Partei sich mit Tierschutz die Finger verbrennen wegen der paar Hanseln, die sich für das Thema engagieren? Und damit vielleicht relevante Wählergruppen verprellen? Zahlende, spendende Wählergruppen? Ein Unternehmen bekommt doch Erleichterungen und Steuergeschenke, noch ehe das Wort ‚Arbeitsplatz‘ zu ende gesprochen ist. Der Staat wird sich erst regen, wenn es der Hundemafia endlich gelungen ist, eine Seuche weiträumig zu verteilen. Dass das bis heute noch nicht passiert ist, ist reine Glückssache, zumal eine allgemeine Impfmüdigkeit zu verzeichnen ist. Dank Desinformation, Desinteresse und der üblichen medienbasierten Viertelbildung. Maximal.

Es gab beim Diskussionsabend um den Entwurf zum neuen Hundegesetz für Berlin den zentralen Satz, der mir die gesamte Misere des Tierschutz, der Befindlichkeit im Lande deutlich machte: „Ein Sachkundenachweis wird nichts an der Zahl der Beißvorfälle ändern, zumal ja nur der Halter ihn erbracht hat!“ – Ja nee, ist klar: Mama weiß Bescheid und feixt sich eins, wenn Krümel auf den Rotti zu krabbelt, um ihm den Knochen weg zu nehmen. Ätsch! Grundtenor: Ich weiß ganz genau, was geht beim Hund, ich habe Ahnung und verstehe, was ich tue, also braucht so eine Sachkundenachweis keiner. Amen.

Das lässt sich auch aufs Ganze umbrechen: Politik tut sowieso nix, also wähle ich nicht. Klar bin ich Tierschützer, aber Fleisch ist gesund und muss täglich sein, 60 Millionen Schweine und Rinder und 500 Millionen Masthähnchen, die fast ausschließlich aus industrialisierter Massentierhaltung und -tötung stammen, sind eben nicht zu ändern – und was schwimmen die angeblich so intelligenten Delfine denn ausgerechnet in diese Bucht in Japan, schalt doch mal um. Natürlich sind fast alle für bessere Bildung und schicken, wenn das Geld reicht, ihre Kinder auf Privatschulen. Natürlich ist Föderalismus teuer, aber ein Niedersachse wäre kein Niedersachse mehr, gäbe es kein Bundesland Niedersachsen mit Landesregierung mehr, immerhin gehen Menschen auf die Straße, um ihr altes Nummernschild wieder zu bekommen. Und haben Erfolg damit.

Das alles hat aber mit Gemeinsinn und Mitverantwortung für ein so kostbares Pflänzchen wenig zu tun, das ist Klienteldenken und Klientelhandeln in Reinkultur. Wie neidisch habe ich seinerzeit nach Frankreich geschielt, als Angestellte, Arbeiter, Freiberufler, Schüler, Studenten, Migranten, Mittellose, Reiche, kurz, alle Betroffenen gemeinsam tagelang für eine besser Bildungspolitik auf die Straße gingen. In Deutschland? Unmöglich. Es kann sowieso keiner was ändern. Wir haben eh nichts zu sagen. Da gehen wir doch nicht mehr wählen. Die Politik ist schuld. Genau. Weil sie tut, was man sie tun lässt. Weil man lieber Parteien wählt mit Mehrheitspotential und ohne ‚Tierschutz‘ im Programm als solche, die Tierschutz zwar – unter anderem – deutlich im Programm zu stehen haben, aber sowieso nicht ins Parlament kommen. Hm. Vielleicht, weil zu viele aus voraus eilendem Gehorsam genau diese Partei(en) nicht wählen? Ja, gut, was aber hat das nun mit Tierschutz zu tun? Also, im Bereich Hund oder so?

Alles. Nur nichts ändern, nur keine ‚Neuen‘ verschrecken, nur nichts unternehmen, was Spenden kosten könnte. Besser, nicht hin gucken. Besser, die Bösen weiter böses tun lassen, die sind doch eh nicht zu stoppen. Wir sind die Guten, arbeiten sauber und wissen das. Wir bekommen doch unsere Spenden und haben ein gutes Gewissen.

Schön, ja, aber was passiert mit den Millionen, die in überall landen, nur nicht beim Tier? Die Villen, Reisen, Medienecho, Heldentum, Anwälte, Werbung, Drückerkolonnen, PR-Maßnahmen, Verwaltungswasserköpfe, Vereinsvorstände, Immobilien, Prestigeobjekte – egal, ob sinnvoll oder nicht – und ähnliches subventionieren? Die selbst ursprünglich mit hehrem Ziel gestarteten Organisationen, Vereine und Personen korrumpiert haben? Nichts, denn die sind ja weg. Wir wurschteln weiter und bleiben für spendenfinanzierte Anwälte lieber unsichtbar. Das Restgeld für die Tiere ist besser als nichts.

Aber genau dass ist die Matratze, auf denen die Profiteure sehr bequem, ungestört und sicher schlafen können. Weil man sie lässt. Weil inzwischen die Angst der Guten so groß ist wie die der Streuner vor dem Hundefänger. Was die  real existierende Tierschutzwelt ziemlich auf den Punkt beschreibt. Aber ist das alles?

Nein. Weil selbst die ‚Guten‘ sich mittlerweile selbst nicht mehr grün sind und kaum noch eine Gruppe miteinander redet. Weil Fleischfresser generell Tierquäler sind, selbst wenn sie auf vielen Ebenen selbst gegen Massentierhaltung und nahezu alle Arten der Tierquälerei kämpfen. Weil somit ein Dialog mit Veganern nahezu unmöglich geworden ist, die selbst mit Vegetariern nicht wirklich etwas zu tun haben wollen. Weil es selbst innerhalb dieser kleinen Gruppen noch genug Raum für Zwistigkeiten ist. Weil letztlich jede Gruppe so mit sich und ihren Taten beschäftigt ist, dass alle, die am Elend der Tiere verdienen, mehr Matratzen zur Verfügung haben, als sie jemals werden beschlafen können. Weil auf den Deutschen Normalbetroffenen, auf den Deutschen Gruppenangehörigen nun einmal Verlass ist.

Und die Tiere? Haben nichts von alledem. Nicht einmal Rad fahren können sie. Nur eine solide Ausgangsposition: fressen und vermehren. Oups. Fast wie im Tierschutz…

© Michael Marx – 03/2012

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