Es ist schön, in einer Überflussgesellschaft zu leben. Auch wenn ich es – wie viele andere auch – bei mir nicht immer merke, so ist Überfluss offenkundig und allgegenwärtig, aber: beschränkte Haftung! Wie gesagt, Ausnahme und Regel, sie wissen schon.

Es gibt aber auch Überfluss, wo er mehr als hinderlich ist. Ich meine damit nicht der Klimt, der Feininger zuviel, für die schlicht kein Platz mehr ist an der Wand, an die man sie hängen könnte, die zu klein gewordene Doppelgarage, der Pool, dem ein Schwimmstoß Länge fehlt, die Yacht mit dem ewigen Meter zu wenig. Ich meine den Überfluss im Tierschutz, der allerdings in nur einem Bereich fehlt: dem Geld.

Es gibt zu viele. Viel zu viele Vereine tummeln sich unter dem Schlagwort ‚Tierschutz‘, die in einer Vielzahl nur diejenigen schützen, die sie einst initiierten. Fangen wir mal ganz unten an, bei der ‚Vermittlung‘ von Tieren aus dem Ausland. Da werden Hunde und Katzen angeboten von gleich mehreren Vereinen, manchmal mit unterschiedlichen Angaben in Größe, Gewicht, Herkunft, auch bei Charaktereigenschaften wird fröhlich improvisiert, mal findet man alte Bekannte bei Ebay-Kleinanzeigen, mal in Rasseforen, meist bei Facebook, selten bei sich kümmernden Pflegefamilien. Gefällt mir ein Tier, suche ich mir den Anbieter mit den mir angenehmsten Charaktermerkmalen und schließe dann einen Kompromiss beim Preis. Oder eben nicht. So oder so, zumeist wird mir ganz eilfertig erklärt, es würde sich so oder so um ein Überraschungspaket handeln und alles wäre möglich, immerhin gäbe es eine telefonische Vorkontrolle und meine Stimme…

Bei so manchen Vermittlereien samt willfährigem Anhang an Powerpöblern im Beschwerdefall hätte eine Annuitätsbescheinigung mehr Sinn gemacht im Hinblick auf ruinöse Tierarztrechnungen nach verlorener Vermittlungspokerrunde. All-In wird schnell mal zum All-Out. Aber ein bisschen Schwund ist immer.

Warum aber gibt es so viele Vereine. Und warum werden es wöchentlich mehr? Wenn es doch nur um Hilfe an der Kreatur ginge, wäre ews da nicht sinnvoller, sich entweder vorhandenen Vereinen Anzuschließen? Oder ehrenamtlich dort Dienst zu tun, wo die Not am größten ist? Oder gut dokumentierte Projekte und Vorhaben zu alimentieren? Oder wäre nicht der Ansatz, die eigenen Lebensgewohnheiten zu ändern, eine noch universellere, größere, weil nachhaltigere Möglichkeit, Hilfe zu leisten?

Antwort von Radio Erewan: Im Prinzip ja, aber! Natürlich gibt es gute Gründe für eine Vereinsgründung, besonders nach Anerkennung der Gemeinnützigkeit, einer intressanten Alternative zu Schiffsbeteiligungen für Menschen, denen auch ein zu Schulungszwecken angeschaffter Video-Beamer zu Hause – Vereinssitz! – neben neuem Rechner und ein wenig Bürokram das ehrenamtliche Leben etwas erleichtert. Und wenn dann auch die gerade Kosten deckende Vermittlung fremden Getiers die eine oder andere Lücke schließen kann… Ausnahmen, ganz klar.

Vielen ist es Grund genug, sich mit eigenem Namen im Vereinsnamen – gerne an erster Stelle – einen kleinen Krümel vom Kuchen der Unsterblichkeit auf den Lebensteller zu legen, dessen Rand so unerreichbar weit weg erscheint.

Manche wollen sich schlicht nicht sagen lassen, was zu tun sei und was besser nicht – um dann genau da besonders erfolgreich zu werden: im ‚Besser-nicht‘.

Aber es trifft auch die Großen. Nicht alle, klar. Aber zu viele. Da werden Aktionen Selbstzweck, da werden Allianzen gebildet, die oft weniger dem Wohl der Sache, als der Ausgrenzung anderer dienen. Da werden Teilnahmewarnungen ausgegeben, weil der, die oder jene dabei sind oder sein könnten oder aber gewesen wären, wenn die, die bekanntlich mit denen im ethischen Bett kuscheln, nicht uns – aber das wäre ja doch nur eine ganz andere Geschichte.

Umgewidmetet Spenden, Namensänderungen, ständige Wechsel in der Leitung, die keine ist, weil ganz andere Fäden in der Hand halten, von denen letztlich niemand weiß, an wessen Fäden die hängen, Warungen vor Gesprächen mit eigenen Mitgliedern, Mobbing, wie in karriereorientierten Dax-Konglomeraten, geschicktes Hantieren mit Vermögen, Einfluss und Einsatzgebieten, kurz, es gibt alles, was in der freien Wirtschaft gerne als ‚Raubtierkapitalismus‘ mit Recht an den Pranger gestellt wird. Und die Tiere? Ach ja, die Tiere…

Natürlich fließt auch von den heimlichen ‚Inhaberaktienkgesellschaften‘ Geld in den Tierschutz. Da war nämlich noch die Sache mit der Steuerbefreiung…

Um Tierschutz zu betreiben, besser, um sich für Tierrecht stark zu machen, bedarf es keiner inflationären Vereinsgründungswelle, aus der nie im Leben ein Interessentsunami zum Wohle der Geschöpfe wird, was dann besonders deutlich sichtbar wird beim Versuch, die ‚organisierten Tierschützer‘ auf die Straße zu bringen. 100 in Zürich, 250 in Wien, 300 in Berlin, nach Vorbereitung über Monate, ein grandioses Scheitern, dennoch tapfer als schöner Anfangserfolg verkauft.

Um etwas zu bewegen, müssen Menschen bewegt werden, sich eines Thema anzunehmen, das sie bisher eher am Rande – wenn überhaupt – wahr genommen haben. Es müssen die 95% angesprochen, interessiert und bewegt werden, die nicht organisiert sind, die nicht in den Freundschaftslisten der üblichen Verdächtigen stehen, die nicht teilhaben am Markt der Eitelkeiten, der Gewinnerwartungen und der – ja, sie gibt es durchaus – unermüdlichen Kämpfer für ein besseres Leben aller Tiere.

Um etwas zu bewegen, müssen neue Wege gegangen werden, um mit dem Begriff Tierrecht auch und gerade junge Menschen vertraut zu machen, um viele Wege aufzuzeigen, etwas tun zu können, verhindern zu helfen, ein Leben im Einklang führen, teilen, selbst anleiten zu können. Die Zeit der Betroffenheitskaffeekränzchen im Kreis der Lieben ist vorbei. Und es gibt durchaus Möglichkeiten, aktiv den Wandel zu gestalten – beim ‚Pro-Tierrecht Festival‘ zum Beispiel, das genau da ansetzt. Kluge und kreative Köpfe werden dort gesucht, die verstanden haben, dass ein paar sinnvoll eingesetzte Stunden fachlichen Engagements mehr bewirken können, als einige tausend Euro Spenden.

Ach ja, auch wir sind übrigens ein Verein. Allerdings einzig und allein gegründet, um auf Finger zu schauen, Dinge beim Namen zu nennen, sich einzumischen, Dialoge in Gang zu setzen und mit vielen nachdenklichen Menschen zusammen im Team etwas Neues anzuschieben. Wir freuen uns über offene Kritik, über Diskussion, Anregung und über jede Art der Hilfe. Und wir erteilen allen eine Abfuhr, die lieber in Gruppen und Grüppchen, hinter vorgehaltener Hand, privat und stets in Deckung Gerüchte streuen, Süppchen köcheln nach dem Motto: wo ICH bin, ist vorn. Kleiner Tipp: Fahrtwind entsteht auch, wenn der Zug rückwärts fährt…

© Michael Marx – 10/2011

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