Leierkastenlitanei? Auslandstierschutz ist ein großes Wort – wenn damit allein die Streunerproblematik und der Umgang damit gemeint ist. Das Problem, dass es zu lösen gilt, ist sicherlich groß, aber es ist langfristig lösbar, wenn es konsequent und ohne falsche Sentimentalität angegangen wird.

Unmöglich ist nur, das Problem ohne Verluste auch nur im Ansatz zu lösen, wer meint, dass alle Tiere  gerettet werden können, darf dies zum Selbstschutz gerne tun, realistisch ist das nicht. Es gilt, ein Konzept umzusetzen, dass in den meisten Fällen funktioniert – und zwar möglichst schnell : ’neuter/spy and return/release‘ (einfangen, kastrieren, freilassen). Kastrieren hilft immer. Wenn es sein muss, per Gesetz. Anders ist die Sturmflut an Streunern, an auf der Straße lebenden ‚Haustieren‘ nicht einzudämmen.

Immer wieder erklären Kritiker des Lösungsansatzes ’neuter/spy and return/release‘, dass das Konzept nicht funktioniere, weil…

…in der Region diese und jene Vorbedingen nicht erfüllbar seien, oder
…aus diesem und jenem Grund bei dieser und jener Rasse es so nicht funktioniere, oder
…die Kirche, die Tradition und überhaupt.

Mag sein. Es gibt bei jedem Konzept, bei jedem Ansatz immer Ausnahmen. In der Mehrheit aller Fälle ist es aber durchführbar – zumal es keine ernst zu nehmenden Alternative gibt. Denn wie sähen diese aus? Kasernierung der Streuner in Tierheimen? Wo sie zumindest kastriert würden?

Kein guter Gedanke, zumal der ‚Nachschub‘ aus Privathaushalten nicht unterbunden wäre und ein Leben für lange Zeit in Zwingern unter Dauerstress auf engem Raum – stetiger Nachschub… – alles andere als artgerecht wäre. Es würden Hunde ‚entstehen‘, die traumatisiert, ängstlich oder aggressiv und unangepasst alles andere als vermittelbar wären und nur in Familien mit großer Hundeerfahrung, Zeit, Geduld und Garten abzugeben wären. Die aber sind rar.

Kritiker weisen auf den stetigen Zustrom aus Privathaltung hin, da Kastration traditionell abgelehnt werden würde aus finanziellen Gründen und aus Gründen der Religiosität. Da muss die jeweilige Regierung ran. Denn das ist durchaus möglich: in fast jedem Land regeln Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen das gesamte Leben eines Menschen von der Wiege bis zur Bahre in allen Einzelheiten – und sollen ausgerechnet hier einen Bereich auslassen, der für ständig wachsendes Elend – und Kosten – verantwortlich ist? Ohne Mitwirken der Politik ist leider jedes Konzept zum Scheitern verurteilt, doch die wird nicht reagieren, so lange Forderungen nach konsequenterem Tierschutz keine unter Umständen Wahlen entscheidende Zielgruppe bezeichnet. Auf die Unterstützung der Kirchen braucht niemand zu warten

Gründe, ‚dagegen‘ zu sein, ohne alternativen anzubieten, gibt es immer, mal offen, mal versteckt, mal nicht ‚hüh‘, nicht ‚hott‘. So zitierte der Presseattaché der Ukrainischen Botschaft in Berlin, Dimytro Shevechenko, in einer Presseerklärung zu den Massentötungen von Streunern in der Ukraine folgendes:

„Fragwürdig ist auch die von Ihnen erwähnte Alternativlosigkeit der Methodik „fangen-kastrieren-freilassen“, denn, zum Beispiel, die Moskauer Stadtverwaltung hat nach 5 Jahren des Einsatzes dieser Methoden ganz offiziell bestätigt, dass diese Methodik in Moskau vollkommen erfolglos war. Daher wurde in russischer Hauptstadt beschlossen, auf solche Praktiken zu verzichten.“

Was will uns der Dichter damit Sagen? Dass kastrierte Hunde wieder zeugungsfähig wurden? Dass keine Streuner gefangen werden konnten? Was meint ‚vollkommen erfolglos‘? Auf was für eine Untersuchung, auf welche Studie bezieht sich diese Aussage, die außer ‚Moskauer Stadtverwaltung‘ keine Quelle nennt? Soll damit ein weiteres Töten von Streunern gerechtfertigt werden? Das nach Aussage von Shevechenko so nie statt gefunden hat? (Die komplette ungekürzte Pressemitteilung, die unter anderem auch bei Doggennetz vorliegt, möchte nicht als Stellungnahme / Tatsachenbericht von uns missverstanden, sondern einfach als Pressemitteilung zur Kenntnis genommen werden. Ergänzend dazu ein Artikel, der Streunerproblem und Presseerklärung aufgreift).

Probleme mit Streunern gibt es in einem Dutzend Staaten in der EU bzw. an deren Rand. Es werden bestimmt nicht weniger. Warum gibt es keine Gespräche, keine Arbeitstreffen mit der Zielsetzung, gemeinsame Richtlinien zu erstellen bzw. Konzepte zu entwickeln, das Problem zumindest anzugehen? Weil jedes konsequente Vorgehen gegen Tierquälerei zu sehr in die Nähe einer Einschränkung industrieller ‚Nutztier‘-Haltung gehen könnte? Ist es eine Kapitulation vor der Organisierten Kriminalität? Desinteresse allein kann es nicht sein, zumal – auch dank vieler Aktionen, Petitionen und Demonstrationen – das ‚Problem‘ nicht mehr weg diskutiert werden kann.

Sowohl Ukraine wie auch Russland haben den ‚Luxus‘ eines weiten, teils dünn besiedelten Landes, in dem es ausreichend Flächen als geschützten Lebensraum inklusive Fütterung und Überwachung gibt. Mit etwas gutem Willen sind solche Brachen in fast allen Ländern zu finden. Wer das Streunerproblem auf lange Sicht in den Griff bekommen möchte, kommt an Kastrationen nicht vorbei. Die Alternative ist die Tötung, wie sie in großem Umfang überall dort vorgenommen wird, wo sich eingeschleppte oder ausgesetzte und sich selbst überlassene Tiere ohne natürliche Fressfeinde unkontrolliert vermehren können.

Keine Alternative aber ist ein Export in Länder, die – noch! – kein Streunerproblem haben. Der ‚Markt‘ ist gesättigt, immer mehr Tiere mit Migrationshintergrund enden zum Beispiel in Deutschen Tierheimen. Wenn sie ‚Glück‘ haben. Berlin meldet etwa 2.000 Streuner-Katzen, Dunkelziffer hoch!

Zu jedem stimmigen Konzept mit dem Ziel der Nachhaltigkeit gehört auch, alle möglichen Kräfte und Ressourcen des Landes zu nutzen, um eine ‚Win-Win-Situation‘ – und damit Verständnis und Interesse – zu erzeugen: es gibt (nahezu) überall ausreichend Futtermittel und medizinisches Personal. Der Erwerb von Futtermitteln vor Ort stärkt Handel und Einkommen der Region, das gleiche gilt für den Einsatz einheimischer Veterinäre, zumal Kastrationen keine High-Tech-Medizin erfordert und weltweit Routine ist. Unterstützung ja, aber nur dort, wo sie angefordert wird. Ausländische Tierschutzorganisationen haben mehr als einmal bemängelt, dass Deutsche Organisationen zwar hübsche Pressekonferenzen organisieren, Organisationen der Herkunftsländer aber keine direkte Unterstützung vermelden konnten.

Erfolglos wird jeder Ansatz bleiben, wenn er von außen ‚aufgestülpt‘ wird. Wer auf die Betroffenen, auf ihre Traditionen, ihre Mentalität keine Rücksicht nimmt, wird sehr schnell an Grenzen stoßen, die nur in Zusammenarbeit mit örtlichen Behörden und Multiplikatoren chancenreich überwindbar sind.

Wie viele Tiere hätten mit dem Geld, das für Futterspenden samt Transport – teilweise nahezu direkt auf die örtlichen Schwarzmärkte – verschwendet wurde, weil selten die Mühe unternommen wurde, Futtermittel vor Ort und dann billiger einzukaufen, kastriert werden können? Oder mit dem Geld, das für Tierheim-Neubauten samt teilweise üppiger Besoldung der Erbauer eingesammelt wird? Wäre nicht Hilfe zur Selbsthilfe unter Einbeziehung örtlicher Strukturen oder deren Aufbau effektiver, als unsere Wert- und Qualitätsstandards um jeden Preis einführen zu wollen?

Was letztlich wirklich erreicht werden kann, hängt auch von denen ab, die sich mit dem Etikett ‚Tierschützer‘ schmücken, in dem sie besinnungslos teilen, was ihnen unter den Cursor kommt, an statt gezielt Vereine, Organisationen und Projekte zu unterstützen, die im Sinne eines Tierschutzes handeln, der diesen Namen auch verdient. Aber es scheint, dass oberflächlicher Konsum nicht hinterfragter Angaben das Denken weitgehend ersetzt hat: da wird zur Lynchjustiz gegen einen Verdächtigen aufgerufen, eine Stadt disst einen Jugendlichen noch vor dessen Prozess, den er wegen erwiesener Unschuld auch nicht bekommt. Da wird abweichende Meinung in einer ach so transparenten Parteisimulation namens ‚Piraten‘ – was sich wohl eher auf die Nutzung von Urheberrechten bezieht – so genannten ‚Shitstorms‘ im Internet unterzogen. Da wird zu Demo, zu Aktion gegen eine ‚Künstlerin‘ aufgerufen in blinder Wut, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, diese ‚Meldung‘ zu hinterfragen. Und immer und immer wieder werden längst tote Tiere angeboten. Oder solche, die noch auf der Straße leben und über die die Anbieter nicht mehr wissen als die erstaunten Betrachter der Fotos bei Ebay-Kleinanzeigen oder Facebook. Und Unmassen von Welpen, die doch alle eine Chance bekommen müssen, damit die Vermehrer noch mehr Welpen fabrizieren lassen können, die unbedingt alle eine Chance bekommen müssen und so fort. Und jede/r, die/der dieses perfide ‚Spiel‘ mit dem Einsatz ‚Leben‘ bereitwillig mitspielt, sorgt dafür, dass das Spiel nie zum Ende kommt. Früher nannte man den bewussten Umgang mit der eigenen Umwelt ‚Verantwortung übernehmen‘ – und das geht zum Beispiel so:

  • Vermeiden von Teilen und Empfehlen einer Vermittlung von Tieren unbekannter Herkunft. Es geht nicht darum, um jeden Preis Tiere nach Deutschland zu holen. Wenn, dann bitte nur über Vereine und Organisationen mit einwandfreiem Leumund, die dem Tierschutz im Herkunftsland verpflichtet sind und im Rahmen der Hilfe zur Selbsthilfe Kastrationen durchführen oder unterstützen. Wer teilt, trägt auch Verantwortung für die Konsequenzen, die sich aus dem Teilen oder Empfehlen ergeben!
  • Wenn spenden, dann dorthin, wo mit möglichst niedrigem Verwaltungsaufwand und vor Ort in Unterstützung einheimischer Organisationen Kastrationen durchgeführt und Aufklärungsarbeit und Ausbildung gefördert wird. Im Betreff festlegen, wozu die Spende Verwendung finden soll!Wenn Migrationspfoten aufnehmen, genau schauen, wer sie aus welcher Quelle anbietet. Hilfe brauchen sie alle. Aber nicht die schlimmsten Bilder, die lautstärkste Bettelei sollten entscheiden, sondern das stimmigste Konzept, Transparenz, Information, Ansprechbarkeit zuständiger Mitarbeiter, Vertrag und Bedingungen (Vor-, Nachkontrolle, Unterstützung, Hotline) sind das Maß der Dinge!Last but not Least:nachhaltiger Tierschutz ohne politische Basis ist eine Illusion. Es macht Sinn, der Partei die Stimme zu geben, für die Tierschutz/Tierrecht ein echtes Anliegen ist!
  • Wer großen Organisationen spenden möchte, sollte genau überlegen. Dort kommt oft nur ein Bruchteil, ein kleiner Rinnsal an Mitteln bei denen an, für die gesammelt wird. Der Spender zahlt oft zu einem großen Teil Gehälter, finanziert Fuhrpark, Bauten, Botschafter, Rechtsabteilung und Mitglieder- bzw. Spendenakquise. Das Missverhältnis wird deutlich, wenn man die Anzahl der Mitglieder, die eingesammelte Spendenhöhe in Verhältnis setzt zu real umgesetzten – NICHT geplanten oder angefangenen! – Tierschutzprojekten. Ist weder die Höhe der eingesammelten Spenden nicht ersichtlich (Transparenz), noch deren Verwendung, möchte so manch Euro doch lieber in anderen, realeren, fassbareren Projekten landen. Und keiner darf sagen, er habe es nicht gewusst! Auch wenn es gelungen ist, Charity Watch mundtot zu machen, alles hinterlässt im Internet verlässliche Spuren!

Im Zweifelsfall recherchieren oder direkt fragen, bevor geteilt, gehandelt oder gekauft wird, ohne Quelle, Hintergrund und Sachverhalt zu kennen. Bevor Mobiltelefon, Waschmaschine oder Auto gekauft wird, wird ausführlicher im Internet recherchiert, als bei zum Himmel schreienden Artikeln, Aktionen oder Angeboten. Sind technische Geräte unter Umständen doch mehr Aufmerksamkeit wert als das Wohl von Streunern – mal ganz provokativ gefragt? Wie kann es wohl sein, dass aus weitestgehend unbekannter Quelle plötzlich 200 Vermehrer-Hündinnen und 100 Rüden unbedingt vermittelt werden müssen, weil ein ‚Tierheim‘ geschlossen wurde? Warum wurde es geschlossen? Sind es immer nur die geldgeilen Verpächter? Die ahnungslosen Behörden? Die selbstsüchtigen Nachbarn?

Während Frankreich in Ghana vor mehr als zwanzig Jahren Brunnen mit Pumpen bestückte, die Muskelkraft erforderten, dafür aber einfach und von nahezu unbegrenzter Haltbarkeit waren, montierten Deutsche Entwicklungshelfer zur gleichen Zeit teure elektrische Pumpen von Siemens – natürlich bedeutend weniger, weil teure elektrische Pumpen eben teurer waren. Mehr als zwanzig Jahre später funktionieren nur die Französischen immer noch. Meist ist doch nur Chrom, was glänzt…

Leierkastenlitanei.

© Michael Marx – 06/2012

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